Die Organolanthanoidchemie wurde seit dem Beginn ihrer rasanten Entwicklung
um 1980 maßgeblich von der Suche nach molekularen Katalysatoren und
Modellsystemen für ebensolche bestimmt. Das Hauptaugenmerk liegt bis heute
auf der ZIEGLER-NATTA-basierten Polymerisationskatalyse. Sowohl die
industriell eingesetzten Neodym-Mischkatalysatoren (z.B. Nd(O2CR)3 / Et3Al2Cl3 /
iBu2AlH) und ihre bedeutsameren Gruppe-4-Pendants, als auch viele aktive
Lanthanoid-basierte Homogenkatalysatoren beruhen auf einem komplexen
Zusammenspiel des Zentralmetalls mit niederen Alkylen, welche in
bimetallischen Verbindungen mit Aluminium stabilisiert werden können. Die
Identifizierung, d.h. strukturelle Charakterisierung, derartiger molekularer
Komplexe steht daher im Fokus moderner Organometall-Chemie. Die
Stabilisierung der hierbei involvierten äußerst reaktiven Seltenerdmetall-
Alkyl(Methyl)-Bindungen gelingt in herausragender Art und Weise mit
Cyclopentadienyl („Cp“)-Steuerliganden.
Die vorliegende Arbeit zielt auf die Synthese, strukturelle Charakterisierung und
Reaktivität „sterisch offener“ Lanthanoid-Methylverbindungen. Eine zentrale
Stellung nehmen hierbei Tetramethylaluminat („AlMe4“)-Liganden sowie
Halbsandwich-Komplexe („Cp*LnR2“) ein. In den Schemata I-III sind die
wesentlichen Reaktionssequenzen zusammengefasst, die abgebildeten Metall-
Komplexe wurden alle röntgenstrukturanalytisch charakterisiert.
Halbsandwich-Bis(tetramethylaluminat)-Lanthanoid-Komplexe
Als bewährte Syntheseroute zur Darstellung von Tetraalkylaluminat-Komplexen
wurde die Amideliminierungs-Reaktion eingesetzt. Für die Bereitstellung von
bisamidischen Halbsandwich-Komplexen als Synthesevorstufen erwiesen sich
zwei unterschiedliche Reaktionsprotokolle als erfolgreich. Die
Protonolyse der Silylamid-Komplexe Ln[N(SiHMe2)2]3(THF)2 (Ln = Lu, Y) mit Cp-
Derivaten HCpR5 führte zur Bildung der Mono-Cp-Bisamid-Komplexe (CpR5)Ln[N(SiHMe2)2]2. Die Isolierung stabiler Zielprodukte gelang in
Anwesenheit von Pentamethylcyclopentadienyl (Cp*)-Liganden. Die Komplexe
ließen sich erwartungsgemäß mit Trimethylaluminium zu den Aluminat-
Komplexen Cp*Ln(AlMe4)2 umsetzen, welche allerdings unter erheblichem
Aufwand durch Kristallisation vom Nebenprodukt {Me2Al[J-N(SiHMe2)2]}2
getrennt werden mussten. Als zweite Syntheseroute eignete sich die
salzmetathetische Umsetzung von [Ln(NiPr2)2(J-Cl)(THF)]2 (Ln = Y, Lu) mit zwei
Äquivalenten KCp* zu [Cp*Ln(NiPr2)2(THF)]. Auch diese Verbindungen ließen
sich mittels Trimethylaluminium in die Aluminat-Komplexe überführen. Die
Abtrennung des Nebenprodukts {Me2Al[J-N(iPr)2]}2 durch Kristallisation gestaltete
sich in der Praxis wesentlich einfacher als bei der Silylamid-Variante. Leider
beschränkte sich jedoch auch diese Methode auf die „kleinen“ Seltenerdmetalle.
Die Isolierung der homoleptischen Tetramethylaluminat-Komplexe Ln(AlMe4)3
(Ln = Y, Lu, Ho, Nd, La) gelang durch Optimierung der Amideliminierungs-
Reaktion, d.h. Umsetzung der At-Komplexe Ln(NMe2)3(LiCl)3 mit
Trimethylaluminium und anschließender Sublimation, in hohen Ausbeuten und
Reinheiten. Die protonolytische Reaktion mit einem Äquivalent HCp* lieferte die
entsprechenden Halbsandwich-Komplexe in nahezu quantitativen Ausbeuten und
hervorragenden Reinheiten. Somit war es möglich diese interessante
Komplexklasse für die gesamte Reihe der Seltenerdmetalle darzustellen.
In den 1H-NMR-Spektren der Bisaluminat-Komplexe Cp*Ln[(J-Me)2AlMe2]2
lassen sich die terminalen und verbrückenden Methylgruppen nicht
unterscheiden. Selbst bei -90 oC wird nur ein gemeinsames Signal beobachtet,
was eine hohe Austauschrate unterstreicht. Die Festkörperstrukturen
dokumentieren dagegen zwei unterschiedliche Aluminat-Koordinationen.
Während ein „LnAlMe4“-Fragment ein coplanares Ln-C-Al-C-Arrangement
aufweist und damit den routinemäßig beobachteten η2-gebundenen Aluminat-
Liganden „Ln(J-Me)2AlMe2“ entspricht, weist das zweite Fragment eine
gewinkelte Struktur auf, in welcher sich eine terminale Methylgruppe dem
Seltenerd-Metallzentrum annähert, in einer Art „Übergangszustand“ zur η3-Koordination „Ln(J-Me)3AlMe“. Der Abstand dieser Methylgruppe vom
Seltenerdmetall-Zentrum nimmt mit dessen zunehmendem
Kationendurchmesser ab (Lu—C 3.447(3) Å, La—C 3.140(2) Å), ein Trend
welcher als Beweis für ein Wechselwirkungsphänomen zu werten ist und
Kristallpackungseffekte ausschließt.
Chlorierungsreaktionen und Clusterbildung
Die hohe cis-Stereospezifität von ZIEGLER-Mischkatalysatoren mit einer
Alkylaluminiumchlorid-Komponente wirft seit langem die Frage nach molekularen
Koordinationsmustern auf, welche diesen „Chlorideffekt“ näher beleuchten. Die
bisherigen strukturellen Untersuchungen auf dem Gebiet der
Organlanthoidchemie gingen zumeist von Ln-Alkyl- bzw. Ln-Chlorid-Vorstufen
aus, welche mit Alkylaluminium- bzw. Alkylaluminiumchlorid-Reagenzien
umgesetzt wurden. Bei den strukturell charakterisierten Produkten handelt es
sich um „gemischte“ Alkyl-Chlorid-Aluminateinheiten vom Typ Ln(J-Cl)2AlClR und
Ln(J-Cl)2AlR2 (R = Alkyl). Aufgrund der hohen Aktivität und cis-Stereospezifität
der homoleptischen Aluminat-Komplexe in der Dien-Polymerisation, nach
Zugabe von Alkylaluminiumchlorid-Reagenzien, sind die Produkte derartiger
Reaktionen von besonderem Interesse. Die Reaktion der Komplexe
Cp*Ln(AlMe4)2 erbrachte überraschende Ergebnisse (Schema II). Die
verwendeten Y-, Nd- und La-Derivate ergaben jeweils unterschiedliche
polynukleare Cluster.
Gemeinsam ist den Reaktionen der Austausch von Aluminat- gegen Chlorid-
Liganden, sodass in den entstehenden Clustern beide Ligandentypen
nebeneinander vorkommen. Der Grad des Austauschs ist allerdings
Zentralmetall-spezifisch. Die Ausbildung „gemischter“ Alkyl-Chlorid-Aluminat-
Liganden wurde nicht beobachtet. Die Aluminat-Liganden der Nd- und La-
Cluster weisen bisher nicht beobachtete Koordinationsmuster auf („Nd(J-
Me)3AlMe“ [η3] und „La(J-Me)2AlMe(J-Me)La“ [J,η2:η1]). Darstellung von Methylverbindungen
Die hohe Relevanz und Aktivität von Gruppe-4-Metallocen-Methylverbindungen
in der industriellen Katalyse machen auch entsprechende Seltenerdmetall-
Methylverbindungen zu einem attraktiven Forschungsfeld. Detaillierte
Untersuchungen beschränken sich bislang auf verschiedene Mono-
Methylderivate, hauptsächlich im Metallocenbereich. Die etablierte Methode der
Salzmetathese ausgehend von Seltenerdmetall-Halogeniden mit MeLi führt
aufgrund des geringen sterischen Anspruchs des Methyl-Liganden und dessen
hoher Basizität oftmals zu At-Komplexen. So konnte SCHUMANN durch die
Reaktion der Trichloride LnCl3 mit drei Äquivalenten MeLi die Trimethyl-
Verbindungen als Donor-gestützte At-Komplexe [Li3(donor)x][LnMe6] stabilisieren.
Die Synthese von „LnMe3“ gelang auf diesem Wege nicht. Es ist seit längerem
bekannt (LAPPERT), dass sich Tetramethylaluminat-Liganden in Metallocenen
durch Donor-induzierte Spaltung in die entsprechenden Monomethyl-
Verbindungen überführen lassen (Cp2LnAlMe4 + Donor → Cp2LnMe +
AlMe3·Donor). In der vorliegenden Arbeit konnte die stöchiometrische
Spaltungsreaktion erstmals auf die Synthese der Mono-Cp*-Bismethyl- und der
homoleptischen Trimethyl-Verbindungen von Yttrium und Lutetium ausgeweitet
werden. In weiteren Untersuchungen stellte sich Diethylether
als ideales Spaltungsreagenz heraus, da dieser im Gegensatz zu THF auch im
Überschuss zugegeben werden kann. Die homoleptischen Trimethyl-
Verbindungen [LnMe3]n (Ln = Y, Lu) sind polymere Feststoffe, welche
insbesondere durch MAS-NMR-Spektroskopie charakterisiert werden konnten.
Die trimeren Dimethyl-Verbindungen [Cp*Ln(J-Me)2]3 (Ln = Y, Lu) sind in Hexan
und Toluol schlecht löslich, das Yttrium-Derivat konnte strukturell charakterisiert
werden. Das Potential der homoleptischen Trimethyl-Verbindungen
in der Organometall-Synthese konnte mittels Protonolyse, Lewis Säure-Base-
Additions-Reaktionen sowie Ln-CH3-Addition an Carbonyl-Funktionalitäten unter
Beweis gestellt werden. C-H-Bindungs-Aktivierungsreaktionen
Die H-Abstraktion an Methylgruppen unter Ausbildung von Methylen- und
Methylidin-Liganden ist durch einige seltene Beispiele in der Gruppe-4-Chemie
belegt. Eine besondere Bedeutung spielt hierbei offenbar Trimethylaluminium.
Derartige Reaktionen werden intensiv als Deaktivierungsschritte in der ZIEGLER-Polymerisationskatalyse diskutiert. Bisher gab es keine Hinweise auf
die Bildung derartiger Verbindungen in der Seltenerdmetall-Chemie. Die
Umsetzung der zuvor beschriebenen gemischten Chlorid-Aluminat-Cluster mit
THF in Toluol führte erstaunlicherweise trotz der unterschiedlichen Edukte in
allen Fällen zur Ausbildung von trinuklearen Chlorid-Methylen-Clustern. Die Methylengruppe ließ sich in TEBBE-analogen Methylenierungsreaktionen
auf eine Reihe von Ketonen und Aldehyden übertragen. Die Umsetzung von
[Cp*Y(J-Me)2]3 mit Cp*Y(AlMe4)2 in Toluol resultierte gar in einer multiplen H-
Abstraktion, welche in hohen Ausbeuten zum ersten Seltenerd-Methylidin-
Komplex als einem vierkernigen Cluster führte. Diese Reaktion zeigt
erstmalig die hohe Aktivität von Lanthanoid-Methyl-Verbindungen gegenüber
deren Aluminat-Verbindungen. Weitere systematische Reaktionen dieser Art
könnten wichtige Hinweise in Bezug auf die Deaktivierung in ZIEGLER-
Mischkatalysatoren geben.
Insgesamt konnte ein Einblick in die Vielfalt der Koordinationschemie des
Tetraalkylaluminat-Liganden gewonnen werden. Die Reaktion von Halbsandwich-
Lanthanidocen-Bis(aluminat)-Komplexen mit Chlorid-übertragenden Reagenzien
führte zu neuen gemischten Aluminat-Chlorid-Lanthanoidverbindungen.
Kontrollierte donorinduzierte Spaltung lieferte neue wertvolle Seltenerdmetall-
Methyl-Komplexe. Diese zeigten eine hohe Fähigkeit zur C—H-Bindungs-
Aktivierung, insbesondere in der Reaktion mit Alkylaluminat-Komplexen, bei
welcher es zu einer multiplen H-Abstraktion und Ausbildung von Methyliden- und
Methylidingruppen kommen kann.
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Die Organolanthanoidchemie wurde seit dem Beginn ihrer rasanten Entwicklung
um 1980 maßgeblich von der Suche nach molekularen Katalysatoren und
Modellsystemen für ebensolche bestimmt. Das Hauptaugenmerk liegt bis heute
auf der ZIEGLER-NATTA-basierten Polymerisationskatalyse. Sowohl die
industriell eingesetzten Neodym-Mischkatalysatoren (z.B. Nd(O2CR)3 / Et3Al2Cl3 /
iBu2AlH) und ihre bedeutsameren Gruppe-4-Pendants, als auch viele aktive
Lanthanoid-basierte Homogenkatalysatoren beruhen auf...
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