Die Bildung von dickem viskosem Schaum stellt ein häufiges Problem in Abwasser-reinigungsanlagen (ARA) dar. Drei Faktoren spielen bei der Entwicklung von stabilen Schäumen eine wichtige Rolle: (i) fein verteilte Gasblasen, (ii) oberflächenaktive Substanzen und (iii) hydrophobe Stoffe. In der belüfteten Phase entstehen die Gasblasen z.B. durch Sauerstoffeintrag und initiieren die Schaumbildung. Die Grenzflächen zwischen der Gas- und Wasserphase werden durch Adsorption von oberflächenaktiven Substanzen stabilisiert. Das Vorkommen von hydrophoben Stoffen unterstützt die Adhäsion dieser Gasblasen an Feststoffpartikel, wodurch die Bildung von stabilen Schaumschichten gefördert wird. Oberflächenaktive Stoffe können über den Zulauf in die Anlage gelangen oder von verschiedenen Bakterien in der Anwesenheit von hydrophoben Kohlenstoffquellen bzw. unter Nährstoffmangel produziert werden. Hydrophobe Substanzen können aus dem Abwasser stammen oder werden durch das starke Wachstum von Organismen mit einer stark hydrophoben Zelloberfläche zur Verfügung gestellt.
Eine Zielsetzung dieser Studie war es, die relevanten Schaum-Bakterien, welche an der Schaumbildung beteiligt sind, zu charakterisieren. Die Identifizierung dieser Bakterien wurde anhand der klassischen mikroskopischen Schlammanalyse und molekularbiologischen Methoden, welche Information über die taxonomische Zugehörigkeit liefern, durchgeführt. Das Wissen über die Phylogenie der Schaum-Bakterien gibt Hinweise zu den physiologischen Eigenschaften dieser Bakterien, welche hilfreich sind für das Verstehen des Schaumbildungsprozesses und die Anwendung spezifischer Kontrollmaßnahmen. Eine weitere Frage dieser Arbeit war es zu untersuchen, inwieweit die Schaumbildung einen passiven Flotationsprozess des Belebtschlammes an die Wasseroberfläche oder einen aktiven Wachstumsprozess von spezifischen Bakterien an der Wasseroberfläche darstellt. Die Aufklärung der Rolle dieser Schaum-Bakterien und der extrazellulären polymeren Substanzen (EPS) bei der Bildung von stabilen Schäumen stellte den dritten Arbeitschwerpunkt dar. EPS erfüllen möglicherweise zwei verschiedene Funktionen im Schaumbildungsprozess: (i) sie dienen als Nährstoffquelle und fördern das Wachstum einer speziellen bakteriellen Biozönose und (ii) sie können aufgrund ihrer hydrophoben Oberflächen die Schaumschicht direkt stabilisieren. Zur Beantwortung dieser Fragen wurde die Anzahl der Schaum-Bakterien, die mit Hilfe der Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) quantifiziert wurde, mit der Schlammhydrophobizität und spezifischen EPS-Komponenten des Belebtschlammes und der Schaummatrix korreliert.
Die Screening-Untersuchungen an verschiedenen ARA mit Schaumereignissen zeigten, dass in den meisten untersuchten Anlagen Microthrix parvicella sowohl die Schlamm- als auch die Schaumbiozönosen dominierte. Weiter konnten nocardioforme Actinomyceten als wichtige Schaumbakterien charakterisiert werden. Diese Organismen wurden in geringer Anzahl im Belebtschlamm gefunden und waren in der Schaumschicht deutlich angereichert. Das fadenförmige Bakterium Typ 1863 wurde in mehreren ARA deutlich angereichert im Schaum gefunden, wurde aber niemals als dominanter Organismus innerhalb der Biozönose nachgewiesen. Die fadenförmigen Morphotypen 1851, 0041/0675, 0092 und Nostocoida limicola wurden nur in einigen ARA als die dominanten Organismen im Belebtschlamm identifiziert. Jedoch wurden sie häufig zusammen mit M. parvicella- und nocardioforme Actinomyceten-dominierten Biozönosen gefunden. Die Identifizierung von fadenförmigen Bakterienmorphotypen ist häufig aufgrund von morphologischen Abweichungen und unvollständigen taxonomischen Informationen fehlerhaft. Deshalb wurde die FISH-Technik unter Verwendung von spezifischen rRNA-gerichteten Oligonukleotidsonden eingesetzt, um verlässliche phylogenetische Informationen über die beschriebenen Morphotypen zu erhalten. Die beiden Methoden, die klassische mikroskopische Schlammanalyse und FISH, wurden in Bezug auf ihre Effektivität zum Nachweis, zur Identifizierung und zur Quantifizierung fadenförmiger Organismen im Belebtschlamm und Schaum verglichen. Für den Morphotyp M. parvicella, welcher als „Candidatus Microthrix parvicella“ (ein nicht-klassifiziertes Bakterium der Actinobacteria) identifiziert wurde, stimmten die Ergebnisse der klassischen Schlammanalyse und FISH gut überein. Typ 1863 wurde als Acinetobacter spp. charakterisiert und Typ 1851 wurde als Bakterium der Chloroflexi Gruppe 3, nah verwandt mit Roseiflexus castenholzii, identifiziert. Die klassische Mikroskopie übersieht Einzelzellen der nocardioformen Actinomyceten und des Typs 1863, welche nur mit FISH nachgewiesen werden konnten. Weiterhin wurden unverzweigte nocardioforme Actinomyceten, die als kurze Fäden oder in Zellcluster wuchsen, nur mit FISH eindeutig identifiziert. Die FISH-Methode unterschätzt die Anzahl der verzweigten fadenförmigen nocardioformen Actinomyceten und der Morphotypen 0041/0675 oder 0092. Die Ursachen hierfür sind erstens die limitierte Zellwandpermeabilität für fluoreszenzmarkierte rRNA-gerichtete Oligo-nukleotidsonden und zweitens die Verfügbarkeit von geeigneten Sonden. Die FISH-Ergebnisse für den Morphotyp N. limicola I und III sind sowohl wegen ihrer geringen Anzahl als auch wegen ihrer taxonomischen Vielfalt wenig aussagekräftig. Der Morphotyp N. limicola II wurde jedoch häufig als „Candidatus Nostocoida limicola“ aus der Gruppe der Actinobacteria identifiziert.
Die Identifizierung der nocardioformen Actinomyceten auf Gattungs- und Artebene mit Hilfe der klassischen Mikroskopie war nicht möglich, da die verschiedenen Arten zumeist den gleichen Morphotyp aufweisen. Der Einsatz von FISH für diesen Zweck war aufgrund des Mangels an verfügbaren gattungs- und artspezifischen Sonden ebenso begrenzt. Die Anwendung des „full-cycle“ rRNA-Ansatzes in Kombination mit verschiedenen DNA-Fingerprint-Methoden, dem Restriktionsfragmentlängen-Polymorphismus (RFLP) und der denaturierenden Gradienten-Gelelektrophorese (DGGE) erwies sich als eine erfolgreiche Methode zur Identifizierung der unbekannten nocardioformen Actinomyceten-Arten in den verschiedenen Schaumproben. Das Screening der Klonbibliotheken mit Actinobacteria-spezifischen Primern gefolgt von der Erstellung von RFLP-Profilen machte es möglich, die Klone in taxonomische Gruppen zu ordnen, und erlaubte die Identifizierung der dominanten Klone der einzelnen Klonbibliotheken. Die Analysen der Umwelt-DNA mit Hilfe der DGGE und der Vergleich zu den DGGE-Mustern der dominanten Klone wiesen darauf hin, dass die dominanten Klon-Inserte die dominanten Bakterien innerhalb der Actinobacteria der untersuchten mikrobiellen Schaumbiozönosen repräsentierten. Jedoch nur die Sequenzanalyse von Klon-Inserten gefolgt von Sondendesign und die Anwendung von FISH mit spezifischen Sonden für Dietzia spp. und verschiedenen Rhodococcus spp. (Rhodococcus erythropolis und wahrscheinlich zwei neue Arten der Gattung Rhodococcus) bestätigten und quantifizierten das Vorkommen dieser Organismen. Die FISH-Quantifizierung zeigte, dass die verschiedenen Rhodococcus-Arten, welche durch den typisch verzweigten fadenförmigen Morphotyp (GALO) charakterisiert waren, in hoher Anzahl in der Schaumfraktion der deutschen ARA vorkamen. Sie traten häufig zusammen mit Dietzia spp. auf, welche als kurze unverzweigte Fäden bzw. in Zellcluster wuchsen und im Allgemeinen in geringerer Anzahl gefunden wurden. Im Gegensatz dazu dominierten in den Schaumproben der australischen ARA Gordonia spp. und Skermania piniformis. Das Vorkommen der beschriebenen nocardioformen Actinomyceten-Arten konnte mit den verschiedenen Wachstumsbedingungen der ARA, welche Temperatur und die Verfügbarkeit von spezifischen Kohlenstoffquellen betreffen, korreliert werden.
Die physikochemischen Analysen, welche die Messung der Hydrophobizität und die Charakterisierung der EPS umfassen, und die FISH-Quantifizierung der dominanten Schaum-Bakterien wurde an verschiedenen Schlammproben durchgeführt. Diese Proben stammten aus M. parvicella- und nocardioforme Actinomyceten-dominierten Anlagen mit Schaum-ereignissen. Zusätzlich wurde die Stoffwechselaktivität im Belebtschlamm und Schaum erfasst, um die Wachstumsstrategien und die ökologischen Nischen von M. parvicella und nocardioformen Actinomyceten zu bestimmen. Die höhere Stoffwechselaktivität der M. parvicella-dominierten Belebtschlammbiozönose im Vergleich zur Schaumbiozönose weist darauf hin, dass das Wachstum von M. parvicella im Belebtschlamm stattfindet. Die Wachstumsraten von M. parvicella werden durch die lipophilen Stoffe, welche aus dem Abwasser stammen und an die Belebtschlamm-EPS adsorbieren, gefördert. Die langen hydrophoben M. parvicella-Fäden vergrößern und hydrophobieren die Oberflächenstruktur der Belebtschlammflocke, wodurch eine stabile Adhäsion an Gasblasen stattfindet. Dadurch besitzen diese Flocken die Fähigkeit passiv an die Wasseroberfläche zu flotieren und stabile Schaumschichten zu entwickeln. Im Gegensatz dazu wurde eine höhere Stoffwechselaktivität in der Schaumbiozönose im Vergleich zur Belebtschlammbiozönose in nocardioformen Actinomyceten-dominierten ARA bestimmt. Nocardioforme Actinomyceten vergrößern ihre Populationsdichte durch aktives Wachstum in der flotierenden Schlammschicht, was für verschiedene Rhodococcus-Arten und Dietzia spp. gezeigt wurde. Diese Beobachtung wurde durch die geringe Anzahl der nocardioformen Actinomyceten im Belebtschlamm und die deutliche Anreicherung dieser Organismus in der Schaumschicht bestätigt. Der aktive Wachstumsprozess in der Schaumschicht wird von verschiedenen EPS-Komponenten wie z.B. den lipophilen Stoffe und anderen noch nicht charakterisierten Substanzen gefördert. Sowohl die hohe Anzahl von Rhodococcus spp. als auch lipophile Stoffe an der Wasseroberfläche bewirken eine Zunahme der Hydrophobizität und folglich die Entwicklung von stabilen Schäumen. Die beschriebenen Strategien zur Schaumbildung benötigen verschiedene Kontrollmaßnahmen, wobei M. parvicella direkt im Belebtschlamm bekämpft werden muss und die nocardioformen Actinomyceten in der Schaumschicht kontrolliert werden müssen. Diese Studie zeigt, dass verschiedene nocardioforme Actinomyceten-Arten, welche in der Schaumschicht nachgewiesen wurden, spezifische Wachstumsbedingungen benötigen. Deshalb sollten Bekämpfungsmaßnahmen für nocardioforme Actinomyceten-dominierte Schäume auf einer zuverlässigen taxonomischen Identifizierung auf Gattungs- und Artebene basieren.
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