In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, daß das Bilin-Bindungsprotein (BBP), ein Mitglied der Lipocalin-Proteinfamilie, strukturell derart umgestaltet werden kann, daß es das cardioaktive Steroid Digoxigenin, welches neuerdings zunehmend auch in der Bioanalytik zur nicht-radioaktiven Markierung von Proteinen und Nukleinsäuren eingesetzt wird, als Liganden erkennt. Innerhalb der vier Peptidschleifen, die den Eingang zur Bindungstasche des BBP für seinen natürlichen Liganden, Biliverdin IX?, ausbilden, wurden insgesamt sechzehn Aminosäuren einer Zufallsmutagenese unterworfen. Die resultierende Bibliothek wurde zur Selektion Digoxigenin bindender Varianten mittels Phage Display an einer mit Digoxigenin funktionalisierten Polystyroloberfläche eingesetzt. Die selektierten BBP-Varianten wurden zur Untersuchung ihrer individuellen Liganden-Bindungseigenschaften einem Kolonie-Filterstapel-Test unterzogen. Hierfür wurde ein spezialisierter Vektor konstruiert, der die Sekretion der Lipocalin-Varianten als Fusionsprotein mit einer bakteriellen Albumin-Bindungsdomäne (ABD) am C-Terminus erlaubt. So ausgestattet konnten die rekombinanten Proteine - nach Exkretion aus den E. coli-Kolonien - auf der Oberfläche einer mit humanem Serumalbumin beschichteten Membran örtlich immobilisiert und anschließend auf ihre Affinität zu Digoxigenin funktionell untersucht werden. Auf diese Weise wurde das Anticalin DigA isoliert, welches an fünfzehn der insgesamt sechzehn randomisierten Positionen eine vom Wildtyp-BBP verschiedene Aminosäure aufwies. Das in E. coli löslich produzierte und gereinigte Protein komplexierte Digoxigenin selektiv mit einer Dissoziationskonstante (KD) von 295 ± 37 nM. Zum Zweck einer In vitro-Affinitätsmaturierung wurde ausgehend von DigA durch ortsgerichtete Randomisierung der ersten Peptidschleife eine weitere Molekülbibliothek hergestellt und mittels Phage Display der Selektion auf Digoxigenin-Bindung mit funktionalisierten paramagnetischen Partikeln unterworfen. Nach anschließendem Kolonie-Filterstapel-Test wurde das Anticalin DigA16 isoliert. Das in E. coli produzierte Protein wurde einer detaillierten Analyse der Bindungseigenschaften durch Fluoreszenztitration mit verschiedenen Liganden unterzogen. DigA16 besitzt zehnmal höhere Affinität für die Digoxigenin-Gruppe mit einer KD von 30,2 ± 3,6 nM. Die molekulare Erkennung erwies sich dabei als unabhängig vom jeweiligen Substituenten an der Position C-3 des Steroid-Rings, was auch in ELISA-Experimenten bestätigt werden konnte. Digitoxigenin, das sich von Digoxigenin nur durch eine fehlende Hydroxylgruppe an der Position C-12 des Steroid-Gerüsts unterscheidet, wird mit einer KD von 2,0 ± 0,52 nM, also nochmals deutlich höherer Affinität, komplexiert. Dagegen werden 4-Aminofluorescein sowie die dem Digoxigenin strukturell sehr ähnlichen Steroide Testosteron und Ouabain nicht gebunden. Lediglich Progesteron wird mit einer noch nachweisbaren KD von ca. 0,1 µM komplexiert. Für den Versuch einer weiteren Verbesserung der Affinität wurden nun ausgehend von DigA16 durch Zufallsmutagenese in den Schleifenbereichen Nr. 3 und 4 zwei weitere Molekülbibliotheken hergestellt und gemeinsam zur Affinitätsanreicherung eingesetzt. Von den acht nach dem Kolonie-Filterstapel-Test isolierten unterschiedlichen BBP-Varianten, von denen sieben aus derjenigen Bibliothek mit der randomisierten Schleifenregion Nr. 4 stammten, wurden die Bindungseigenschaften des Anticalins DigA16/19 durch Fluoreszenztitration näher untersucht. Hierbei zeigte sich, daß sich die Affinität zu Digoxigenin mit einer KD von 12,4 ± 1,3 nM im Vergleich zu DigA16 nochmals mehr als verdoppelt hatte, während die KD für Digitoxigenin nahezu unverändert geblieben war. Die Glycosid-Derivate der beiden Steroide, Digoxin bzw. Digitoxin, werden durch DigA16/19 allerdings beide etwa viermal schlechter komplexiert als die entsprechenden Aglycone, was zeigt, daß dieses Anticalin im Gegensatz zu DigA16 zwischen den Substituenten an der Position C-3 des Steroidgerüsts unterscheiden kann. Die BBP-Varianten DigA16 und DigA16/19 wurden zusammen mit dem aus früheren Arbeiten des Labors stammenden Fluorescein-bindenden FluA für die Konstruktion sogenannter Duocaline eingesetzt, einer neuen Klasse von Fusionsproteinen, die aus zwei Anticalinen mit unterschiedlicher Liganden-Spezifität besteht. Die in E. coli produzierten Fusionsproteine zeigten im ELISA wie auch in Fluoreszenztitrations-Experimenten die Fähigkeit, sowohl Digoxigenin als auch Fluorescein zu komplexieren. Somit wurde gezeigt, daß Duocaline bispezifische Rezeptorproteine mit zwei unabhängigen Bindungsfunktionen darstellen. Die Anticaline DigA16 und DigA16/19 wurden auch mit der bakteriellen Alkalischen Phosphatase (PhoA) fusioniert - sowohl am C- als auch am N-Terminus - und die gentechnisch produzierten Proteine wurden zum Nachweis der Digoxigenin-Gruppe in ELISA-Experimenten und im Western Blot eingesetzt. Dabei konnte gezeigt werden, daß sich die bifunktionellen Fusionsproteine zur Detektion der Digoxigenin-Gruppe mit konventionellen chromogenen Substanzen einsetzen lassen. Aus den Experimenten wurde weiterhin ersichtlich, daß sich beide Polypeptidtermini der Anticaline in vergleichbarer Weise zur Fusionierung mit anderen Proteinen eignen. In der vorliegenden Arbeit wurde somit einerseits der Einsatz der Anticaline als praktisch anwendbares Nachweisreagenz für niedermolekulare Substanzen und andererseits ihre Eignung zur Konstruktion bispezifischer Bindungsproteine demonstriert. Aufgrund ihrer gegenüber den Antikörpern vorteilhaften Eigenschaften, wie der geringeren Größe und ihrer Zusammensetzung aus nur einer einzigen Polypeptidkette, stellen die Anticaline neuartige attraktive Reagenzien vor allem für die Bioanalytik und Diagnostik dar.
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In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, daß das Bilin-Bindungsprotein (BBP), ein Mitglied der Lipocalin-Proteinfamilie, strukturell derart umgestaltet werden kann, daß es das cardioaktive Steroid Digoxigenin, welches neuerdings zunehmend auch in der Bioanalytik zur nicht-radioaktiven Markierung von Proteinen und Nukleinsäuren eingesetzt wird, als Liganden erkennt. Innerhalb der vier Peptidschleifen, die den Eingang zur Bindungstasche des BBP für seinen natürlichen Liganden, Biliverdin IX?, ausbi...
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