Translated abstract:
Trotz der wichtigen Rolle, die Mollusken in vielen aquatischen Ökosystemen spielen, ist meist nur wenig über ihre Ökologie, Biodiversität und Populationsgenetik bekannt. Flussperlmuscheln (Margaritifera margaritifera L.) zählen zu den am stärksten gefährdeten Süßwasserinvertebraten. Die Art weist starke Bestandseinbrüche auf und stirbt in bestimmten Regionen aus. Übergeordnetes Ziel dieser Arbeit ist es, mit einem integrierenden Ansatz von molekulargenetischen und ökologischen Untersuchungen zur Entwicklung von Artenschutzstrategien und damit zum Erhalt dieser Art beizutragen. Insgesamt wurden 14 polymorphe Mikrosatelliten-Marker für M. margaritifera entwickelt, die die ersten veröffentlichten Mikrosatelliten-Systeme für eine europäische Süßwassermuschelart (Ordnung Unionoida) darstellen. Die entwickelten Markersysteme weisen eine hohe Variabilität bezüglich ihrer Allelzahlen und Heterozygotiegrade auf und sind ideal geeignet, um die neutrale genetische Divergenz und Diversität der derzeitigen Populationsstruktur von Perlmuschelbeständen zu beschreiben. Die genetische Diversität und Differenzierung der letzten und wichtigsten mitteleuropäischen Perlmuschelpopulationen aus den Einzugsgebieten von Elbe, Donau, Rhein, Maas und Weser wurde erfasst, um genetische Einheiten (Conservation Units) zu definieren, prioritäre Populationen für den Artenschutz zu identifizieren und auf genetischer Basis Artenschutzmaßnahmen für freilebende Populationen und für Nachzuchtmaßnahmen abzuleiten. Die mitteleuropäischen Perlmuschelpopulationen sind stark fragmentiert und zeigen große Unterschiede in ihrer genetischen Variabilität. Dies lässt sich auf historische, demographische und anthropogene Effekte zurückführen. Für die DNA-Untersuchungen wurden nicht-destruktive Probenahmemethoden (Totfunde und Hämolymph-Entnahme) angewandt, die keinen nachteiligen Einfluss auf die bestehenden Populationen haben. Darüber hinaus wird die Analyse von Schalen-DNA demonstriert und deren Potenzial für DNA-basierende Untersuchungen, notwendige Vorsichtsmaßnahmen und Grenzen dieser Methoden zur Vermeidung fehlerhafter Ergebnisse diskutiert. Diese Arbeit belegt darüber hinaus die Möglichkeit, Jahresschichten der Carbonate von Perlmuschelschalen zu trennen und als Langzeitarchiv über einen Zeitraum von bis zu 100 Jahren zu analysieren. Untersuchungen der Signaturen stabiler Isotope in den Wachstumsschichten der inneren Perlmutter- und der äußeren Prismenschicht zeigen, dass die d13C Signaturen im Schalencarbonat Marker für individuelle metabolische Signale darstellen, die mehrjährige Trends aufweisen. Zur Schalenaragonitbildung trägt ein hoher Anteil von respiratorischem CO2 (aus Umweltrespiration und Respiration der Muschel) bei. In Verbindung mit der Analyse von d15N Signaturen von Muschelgeweben und potenziellen Nahrungsquellen können die Trophieebene der Muscheln und die Herkunft der Muschelnahrung bestimmt werden. Durch Untersuchungen zum Status der Wirtsfischbestände und der Fischartendiversität in europäischen Perlmuschelgewässern wurden typische Fischbiozönosen in diesen Gewässerbereichen charakterisiert und gezeigt, dass ein Mangel an Wirtsfischen offenbar nur in bestimmten Regionen für die Reproduktion der Perlmuscheln limitierend ist. Intakte und funktionale Perlmuschelpopulationen wurden unter extrem oligotrophen Verhältnissen nachgewiesen, die niedrigere Wirtsfischdichten und Biomassen als die beeinträchtigten mitteleuropäischen Populationen ohne Jungmuschelnachwuchs aufweisen. Die Auswirkungen von Besatzmaßnahmen mit glochidieninfizierten Wirtsfischen als Artenschutzmaßnahme wurden diskutiert. Aufgrund der weiten geographischen Verbreitung der Perlmuschel, ihres komplexen Entwicklungszyklus und der außergewöhnlichen Fortpflanzungsstrategie kann das globale Phänomen des starken Bestandesrückgangs in verschiedenen Regionen unterschiedliche und multiple Gründe haben. Artenschutzstrategien für die Flussperlmuschel profitieren von einem kombinierten Ansatz aus Molekulargenetik und Ökologie, der einerseits ein Maximum der Biodiversität und des evolutionären Potenzials der Art sichert und der andererseits die Habitatansprüche der Art identifiziert und ein geeignetes Habitat für alle Phasen des Entwicklungszyklus wiederherstellt. Artenschutzstrategien für die Flussperlmuschel stellen ein wichtiges Schlüsselbeispiel für die Entwicklung von Schutzstrategien für andere aquatische Lebewesen und für die ökosystemare Funktionalität, von der sie abhängen, dar. Grundsätzlich sollten Schutzbemühungen vom statischen Schutz einzelner Arten und der Erhaltung eines bestimmten Verteilungsmusters hin zum nachhaltigen Schutz der Prozesse in Ökosystemen (Prozessschutz) entwickelt werden.