Das Trag- und Verformungsverhalten unbewehrter Mauerwerksscheiben für den Lastfall Erdbeben wird im Rahmen dieser Arbeit experimentell und rechnerisch untersucht. Ziel ist u. A. die Quantifizierung der nichtlinearen Effekte in Form des Verhaltensfaktors q. Im Anschluss an eine umfassende Literatursichtung werden in einem ersten Schritt mit der weiterentwickelten Versuchsmethode der Pseudodynamik zehn geschosshohe Wände verschiedener Stein-Mörtel-Kombinationen im Maßstab 1:1 experimentell geprüft. Die Wandscheiben repräsentieren dabei die tragenden Schubwände mehrgeschossiger Gebäude. Unter Ausnutzung von Symmetrieeffekten können die Versuche jeweils auf die maßgebende Schubwand im untersten Geschoss reduziert werden. Als Erdbebeneinwirkung werden verschiedene auf das elastische Antwortspektrum von DIN 4149 angepasste, künstlich generierte Zeitverläufe unterschiedlicher Laststufen angesetzt. Insgesamt werden über 40 Hauptversuche und zahlreiche Nebenversuche an den 10 Wandscheiben durchgeführt. In der ersten Simulationsstufe werden die zu untersuchenden Bauwerke auf einen äquivalenten Einmassenschwinger in Form einer Kragscheibe reduziert, wohingegen in der zweiten Simulationsstufe die Untersuchungen an einem Mehrmassenschwinger erfolgen. Die oberen Geschosse werden hierbei als Sub-Struktur lediglich numerisch berücksichtigt, deren nichtlineare Steifigkeitscharakteristik in statisch-zyklischen Vorversuchen bestimmt wird. Die elastische Einspannung der Schubwände in die Stahlbetongeschossdecken erfolgt dabei durch Ansatz einer Momentendrehfeder. Die Erweiterung des Versuchsstandes mit den unabhängig computergesteuerten 2 Vertikal- und dem Horizontalzylinder ergibt die Möglichkeit, annähernd beliebige Kraft- und Verformungszustände, d.h. Wandkopfmoment, Normalkraft und horizontale Schubkraft, auf die Prüfwände aufzubringen und die Problematik konventioneller Prüfstände zu umgehen. Einen entscheidenden Eingangsparameter bei der Bestimmung der resultierenden Erdbebenbelastung einer Konstruktion stellen die Systemeigenperioden dar. Deren Ermittlung erfolgt entsprechend den neuen Erdbebennormen DIN 4149 und Eurocode 8 bei Mauerwerksbauten mit isotropem E-Modul und gegebenenfalls gerissenen Querschnitten. Jedoch zeigen die Versuche, dass bereits bei ungerissenen Querschnitten die Beschreibung mit isotropen Eigenschaften und E-Moduln aus der Beanspruchungsrichtung senkrecht zu den Lagerfugen, deutlich zu hohe Steifigkeitswerte liefert. Dieser Effekt ist bei geringer Wandnormalkraft besonders stark ausgeprägt. Zusätzlich tritt in den Versuchen mit zunehmender Horizontalbeanspruchung eine weitere Abnahme der Wandsteifigkeiten auf. Bei der Untersuchung des Einflusses des nichtlinearen Verhaltens auf die Lastreduktion wird ebenfalls eine Abhängigkeit des Systems erkennbar. Bei den Kragscheibensystemen der ersten Simulationsstufe liegt der Verhältniswert zwischen rechnerischer Einwirkung mit gemessenen Anfangswandsteifigkeiten und tatsächlich in den Versuchen aufgetretener Horizontalkraft im Mittel bei 2,8 wohingegen bei dem Mehrmassenschwinger dieser Effekt mit einem Bereich von 1,0 ÷ 2,2 deutlich geringer ausgeprägt ist. Für weitergehende Untersuchungen wird aufbauend auf das Schubmodell von Mann / Müller ein Materialmodell nach der Plastizitätstheorie unter Einbezug von Verfestigung- und Entfestigungseffekten entwickelt und anhand der eigenen Versuchsergebnisse überprüft. Im Zuge einer Parameterstudie mit Hilfe der Finiten-Elemente-Methode wird die Lastreduktion in Form des Verhaltensfaktors q über die Verschiebeduktilität der Einzelwand ermittelt.
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