Das hämostatische System ist von großer Bedeutung für alle höheren Organismen. Es ge-währleistet die Integrität des Gefäß- und Kreislaufsystems und stellt dessen Funktionsweise nach Verletzungen schnell wieder her. Seine Regulation ist von herausragender Bedeutung und erfolgt auf verschiedenen Ebenen und über eine Reihe von Kontrollmechanismen. Eine Unterfunktion des hämostatischen Systems resultiert in Bluterkrankheiten, eine Überfunktion führt zu thrombotischen Erkrankungen. Für die Entwicklung wirkungsvoller Inhibitoren gegen einzelne Mitglieder der Gerinnungs-kaskade ist es nötig, die genauen Eigenschaften der verschiedenen Enzyme zu kennen, zu verstehen und gegen die verwandten Enzyme abgrenzen zu können. In diesem Zusammenhang sind Kristallstrukturen ein wertvolles Werkzeug, um die Unterschiede zwischen den verschiedenen Enzymen verstehen zu lernen und die Bindeeigenschaften von spezifischen Inhibitoren zu optimieren. Die Kristallisation von Gerinnungsfaktoren ist jedoch schwierig, da die Enzyme eine für die Kristallpackung ungünstige gestreckte Konformation haben. In vorangegangenen Arbeiten wurden daher verkürzte Varianten von FIXa und FXa für Struktur-Funktionsstudien entwickelt (rF9a und rF10a). Diese Varianten werden über Renaturierung von E. coli Inclusion Bo-dies hergestellt. In diesem System lassen sich schnell verschiedene Mutanten der Enzyme erzeugen, anhand derer die Bedeutung einzelner Reste oder Oberflächenschleifen für Aktivität und Spezifität untersucht werden können. Faktor IXa nimmt eine zentrale Rolle in der Gerinnungskaskade ein, da in ihm die verschiedenen Wege der Initiation und Aufrechterhaltung der Blutgerinnung zusammenlaufen. FIXa zeichnet sich durch eine besonders niedrige Aktivität aus. Die Bindung des Kofaktors FVIIIa ist nicht ausreichend, um die amidolytische Aktivität des Enzyms zu verbessern, sondern FIXa entfaltet erst im Komplex mit dem Kofaktor und dem physiologischem Substrat FX seine volle Aktivität. Die Ursache für die niedrige Aktivität wurde schon seit längerem in Besonderheiten des 99-Loops vermutet. Dieser Loop ist in FIXa länger als in verwandten Enzymen und nimmt eine ungewöhnliche Konformation ein, durch die die kanonische Bindung des Substrats behindert wird. In der vorliegenden Arbeit konnte gezeigt werden, dass insbesondere die Reste Lys98 und Tyr99 von entscheidender Bedeutung für die Eigenschaften des freien FIXa sind. Austausch des Tyr99 gegen Aminosäuren mit kleineren Seitenketten führte zu einer starken Aktivitätsverschlechterung, die vermutlich auf ein Nachrutschen der Schleife in Richtung der Substratbinderegion mit daraus resultierender stärkerer Behinderung der Substratbindung zu-rückzuführen ist. Tyr99 behindert somit zwar die Substratbindung in FIXa, ist aber auch für die Stabilität des 99-Loops unabdingbar. Mutagenese von Lys98 zeigte, dass dieser Rest durch die Ladung und Lage seiner langen Seitenkette die Bindung der basischen Substratseitenketten in die S1-Tasche stört. Austausch des Lysin gegen ungeladene oder kürzere Reste resultierte in Enzymen mit stark verbesserter Aktivität. Die Aktivität konnte weiter gesteigert werden, wenn zwei weitere Mutationen in den Positionen 94 und 177 eingeführt wurden, die eine Umlagerung des Loops in eine FXa-ähnliche Konformation ermöglichten. Die Umlagerung des 99-Loops in der Tripelmutante entspricht vermutlich der Bewegung, die der 99-Loop im physiologischen Komplex nach der Bindung von Kofaktor und Substrat durchführt. Durch die Bindung der makromolekularen Interaktionspartner wird die Substrat-bindungsregion von FIXa zugänglich und eine effiziente Katalyse möglich. Die Untersuchung von Glu219 in der S1-Tasche zeigte, dass dieser Rest in FIXa zwar ungewöhnlich und einzigartig, aber trotz seiner energetisch ungünstigen Hauptkettenkonformation für Integrität und Stabilität der S1-Tasche von FIXa optimiert ist. Eine weitere wichtige Komponente des Gerinnungssystems ist FVII. FVII steht ganz am Beginn der Gerinnungskaskade und ist das erste Enzym, das nach einer Verletzung aktiviert wird. Die Kontrolle der Aktivität von FVIIa ist dementsprechend wichtig und stellt einen at-traktiven Ansatzpunkt für die Thromboseprävention dar. In der vorliegenden Arbeit wurde ein Verfahren für die Herstellung von rekombinantem verkürztem FVIIa (rF7a) aus E. coli Inclusion Bodies etabliert. Die Renaturierung von rF7a unterscheidet sich deutlich von derjenigen der nahe verwandten Enzyme rF9a und rF10a und ist nur in Gegenwart hoher Konzentrationen an Ethylenglycol erfolgreich. Das optimierte Verfahren führte zu einer durchschnittlichen Ausbeute von 3mg reinem Enzym je Liter Fermen-tationsansatz. rF7a konnte in Gegenwart des nichtkovalenten Inhibitors Benzamidin erfolgreich kristallisiert werden. Die Kristalle streuten bei Synchrotronstrahlung bis zu einer Auflösung von 1,69 Å. Der Inhibitor Benzamidin konnte aus dem aktiven Zentrum gewaschen werden und kann in der vorliegenden Kristallform prinzipiell durch andere niedermolekulare Inhibitoren ersetzt werden, um deren Bindeeigenschaften zu untersuchen. Die Kristallstrukturen von rF7a mit Benzamidin (rF7aBA) sowie von rF7a ohne gebundenen Inhibitor wurden gelöst. rF7aBA wies im Wesentlichen die gleiche Konformation wie bereits publizierte Strukturen von kovalent inhibiertem oder komplexiertem FVIIa auf. Dies belegt, dass die Renaturierung des Enzyms erfolgreich war und dass die Bindung des kleinen kompetitiven Inhibitors Benzamidin ausreichend für die Stabilisierung der aktiven Konformation von rF7a ist. Im freien Enzym war eine leichte Destabilisierung von Teilen der S1-Tasche und der Aktivierungsdomäne zu beobachten. Diese Beobachtung unterstützt die auf zahlreichen biochemischen Untersuchungen basierende These, dass FVIIa ohne Bindung seines Substrats oder Kofaktors in einer zymogenartigen Konformation mit ungeordneter Aktivierungsdomäne und Substratbindungsregion vorliegt. Die aktive Konformation wird durch Bindung von TF im Bereich der intermediären Helix, sowie durch Besetzung der S1-Tasche stabilisiert. Eine Besonderheit von FVIIa und FIXa besteht in der Stimulierbarkeit ihrer Aktivität durch Ethylenglycol und Glycerin. Untersuchungen an FIXa-Mutanten in dieser und anderen Arbeiten deuten darauf hin, dass diese Stimulation über eine Beeinflussung des 99-Loops erfolgt. In den Kristallstrukturen von rF7aBA und rF7a konnten ein Glycerin- bzw. Ethylenglycolmolekül in einer Tasche zwischen dem 60-Loop und dem Bereich vor dem 99-Loop lokalisiert werden. In FXa, welcher durch die Alkohole nicht stimuliert werden kann, ist eine Bin-dung in dieser Tasche nicht möglich, da sie durch die Seitenketten von Tyr60 und Lys90 ausgefüllt wird. Diese Bindestelle ist relativ weit vom „eigentlichen“ 99-Loop entfernt, und aus der Kristallstruktur geht nicht hervor, ob sie in einem funktionellen Zusammenhang mit der Stimulation steht. In vorangegangenen Arbeiten war eine chimäre Kristallisationsmutante (rXY) für FXa entwickelt worden, bestehend aus einer katalytischen Domäne mit der N-terminalen Sub-domäne von FXa und der C-terminalen Subdomäne von Trypsin. Die S1-Tasche dieser Chimäre wurde durch Austausch von Ser190 gegen Ala weiter an die Situation in FXa angeglichen. Im Zuge dieser Anpassung wurde der Einfluss von Ser/Ala190 auf die P1-Substratselektivität in rXY, rF10a, rF9a und Trypsin untersucht. Es zeigte sich, dass die Bedeutung dieses Restes für die P1-Selektivität in allen untersuchten Enzymen ähn-lich war, unabhängig von der Ausgangsselektivität oder absoluten Reaktivität der Enzyme. Die Selektivität für Arginin in P1 war in den Enzymen mit Ala190 etwa fünffach höher als in den Ser190-Enzymen. Diese Beobachtung unterstreicht die starke Konservierung von Kon-formation und Funktion der S1-Tasche in den trypsinartigen Serinproteasen. Es wurde allerdings auch deutlich, dass in allen Fällen der jeweilige Wildtyp optimiert war. In allen Mutanten war die katalytische Effizienz leicht erniedrigt. Darüber hinaus zeigte eine genauere Analyse der kinetischen Parameter, dass eine starke Bindung des Substrats nicht unbedingt vorteilhaft für die Katalyse sein muss. Für Arginin P1-Reste war kcat bei Ala190 hö-her als bei Ser190, für Lysin P1-Reste war die Situation umgekehrt. Eine zu starke Bindung des Substrats kann die für eine optimale Positionierung im aktiven Zentrum erforderlichen Freiheitsgrade also zu stark einschränken. Die Variante rXYa Ser190Ala konnte im Komplex mit einem FXa-Inhibitor kristallisiert werden. Die Bindung des Inhibitors in das aktive Zentrum von rXYa Ser190Ala gibt ein realistisches Abbild seiner Bindung in FXa, da der Großteil der genutzten Substratbinderegion von FXa-Resten gebildet wird oder in Trypsin und FXa identisch ist. rXYa Ser190Ala stellt somit ein geeignetes Kristallisationsmodell für FXa dar, welches eine bessere Aussage über den Bindemodus von FXa-Inhibitoren erlaubt, als dies mit dem bisher häufig verwendeteten Kristallisationsmodell Trypsin möglich ist.
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Das hämostatische System ist von großer Bedeutung für alle höheren Organismen. Es ge-währleistet die Integrität des Gefäß- und Kreislaufsystems und stellt dessen Funktionsweise nach Verletzungen schnell wieder her. Seine Regulation ist von herausragender Bedeutung und erfolgt auf verschiedenen Ebenen und über eine Reihe von Kontrollmechanismen. Eine Unterfunktion des hämostatischen Systems resultiert in Bluterkrankheiten, eine Überfunktion führt zu thrombotischen Erkrankungen. Für die Entwicklun...
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