Die zunehmende Notwendigkeit zur flexiblen Entwicklung und Produktion führen zu technischen Kompromissen in Unternehmen und einer erhöhten Anhäufung von Altlasten mit direkter Auswirkung auf die Qualität des Systems. Insbesondere in Zeiten von Krisen kann ein nicht sorgfältiges Engineering existenzielle Folgen für das Unternehmen bedeuten. Das Risiko nimmt insbesondere zu, wenn vorausgeplante Meilensteine oder Kostenvorgaben nicht erreicht werden, die Wartbarkeit und Erweiterbarkeit stark limitiert oder Fehler und Redundanzen gar zum Systemstillstand führen.
Das bewusste Eingehen technischer Kompromisse, die auf kurze Sicht Vorteile erbringen können, jedoch auf lange Sicht zu erheblichen Einbußen der Systemqualität und somit auch zu finanziellen Verlusten führen, ist unter dem Begriff \glqqTechnische Schuld\grqq bekannt. Oftmals werden diese Entscheidungen getroffen, weil ihre Tragweite, ihre Auswirkungen und Maßnahmen zur Behebung nicht eingeschätzt oder unterschätzt werden. Die Technische Schuld liegt in mechatronischen Produkten jedoch nicht nur im Bereich der Software, sondern auch im Bereich der Mechanik und Elektrotechnik vor. Diese Schuld in der Mechatronik ist jedoch bisher wenig erforscht. Ungleich in Softwaresystemen, ergeben sich in mechatronischen Systemen aufgrund der zusätzlichen Phasen des Lebenszyklus (z.B. Produktion, Inbetriebnahme und Wartung vor Ort), der Vernetzung der verschiedenen Disziplinen sowie verkürzter und asynchroner Innovationszyklen integrierter Produkte, unvorhergesehene, schwer beherrschbare Schuld mit weiteren Eigenschaften und Dimensionen.
Mittels industrieller Use Cases aus Unternehmen des Maschinen- und Anlagebaus wird die angefallene Schuld aus mechatronischer, prozessspezifischer und globaler Sicht vorgestellt. Beispielsweise wird in einem Use Case mit mechatronischem Fokus anhand einer Presse gezeigt, welche Technische Schuld die Copy-Paste-Modify-Strategie nach sich ziehen kann. Die Mechanik-, Elektronik- und Softwareentwicklung greifen jeweils auf unterschiedliche Versionen ehemaliger Pressen zurück und führen diese für eine Neuentwicklung zusammen. Aufgrund unzureichender Testabdeckung der HW- und SW-Module, Silodenken und nicht-konkreten Systemschnittstellen, führt die Copy-Paste-Modify-Strategie (Ursachen) durch unreife Varianten und Versionen (Technische Schuld-Typ und -Subtyp) zu ungetesteten Sub-Systemen und einem langwierigen Trouble-Shooting Prozess in der Inbetriebnahme (Symptom). Die Lieferfrist wird massiv überschritten, da die Fehlersuche und -behebung aufgrund enormer Komplexität und Redundanzen einen planbaren Rahmen übersteigt (Konsequenzen). Die so durch Copy-Paste-Modify entstandene Schuld ist bereits früh in der Entstehung zu erkennen, z.B. durch eine Reifegradbewertung über die Testabdeckung der HW-/SW-Komponenten.
In diesem Beitrag analysieren wir anhand dreier Use Cases typische Symptome der Technischen Schuld, um diese frühzeitig mittels Indikatoren (z.B. schwache Systemleistung, hohe Ersatzteilanzahl) zu erkennen und die Tragweite der Konsequenzen besser zu überblicken. Zu Illustrationszwecken werden die gegenseitigen Zusammenhänge in Ursachen, Symptome und Konsequenzen im Lebenszyklus des Produktes und der Produktion in einem Ursache-Wirkungs-Graph visualisiert. Jeder Use Case beinhaltet diverse Technische Schuld-Teilaspekte (s.o.), und verdeutlicht, wie sich die Technische Schuld zwischen Disziplinen, über Lebenszyklusphasen und gar über internationale Gewerke ausbereitet und die Systemqualität beeinflusst. Zudem leiten wir Anforderungen an das selbstheilende her, die als Grundlagen einer systematischen Analyse der erweiterten Eigenschaften dienen. Das Management der Technischen Schuld bietet ein großes Potential, komplexe Prozesse und Entscheidungen transparenter zu machen, sowie unternehmensübergreifende Schwächen zu identifizieren.
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Die zunehmende Notwendigkeit zur flexiblen Entwicklung und Produktion führen zu technischen Kompromissen in Unternehmen und einer erhöhten Anhäufung von Altlasten mit direkter Auswirkung auf die Qualität des Systems. Insbesondere in Zeiten von Krisen kann ein nicht sorgfältiges Engineering existenzielle Folgen für das Unternehmen bedeuten. Das Risiko nimmt insbesondere zu, wenn vorausgeplante Meilensteine oder Kostenvorgaben nicht erreicht werden, die Wartbarkeit und Erweiterbarkeit stark limiti...
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