Das Ziel dieser Diplomarbeit bestand darin, die Marktsituation für "biologisch'' erzeugte Nahrungsmittel in Großbritannien zu beschreiben und zu analysieren. Als Hauptpunkte wurden die Warenpalette, die beteiligten Parteien der Produktions- und Handelskette, der Einsatz der Marketing-Mix Elemente sowie staatliche Einflußnahme herauskristallisiert.
Der methodische Aufbau bestand in einer Kombination aus Literaturarbeit und aktiver Feldarbeit (Field-Research). Letztere beinhaltete unter anderem Ladenuntersuchungen in Reformhäusern, Bioläden und Supermärkten, um einen Überblick über die angebotenen "biologischen" Produkte zu bekommen. Mittels eines Standartbriefes (einer postalischen Umfrage) wurden allgemeine Informationen von Mitgliedern der Produktionsund Handelskette erlangt. Um detaillierte Informationen zu bekommen, wurden 7 halbstrukturierte Interviews innerhalb derselben Gruppe durchgeführt.
Der Markt für ''biologische" Nahrungsmittel hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Es wird angenommen, daß das wertmäßige Verkaufsvolumen zwischen 1983 und 1987 um jährlich 25 % gestiegen ist und dieser Trend unvermindert anhält. Die Angaben über den Umsatz von "biologischen" Nahrungsmitteln schwanken sehr stark zwischen n 8 Millionen und n 34 Millionen im Jahre 1987. Es gilt als wahrscheinlich, daß diese Produkte zur Zeit selbst in den Bereichen, in denen sie eine größere Rolle spielen (z. B. Obst, Gemüse, Mehl und Müsli), nur einen Anteil von ca. 0,1 - 0,5 % des wertmäßigen Absatzes erreichen.
Einer der ausschlaggebenden Faktoren für das starke Wachstum dieses Nahrungsmittelbereiches ist das zunehmende Gesundheitsbewußtsein der Konsumenten in Großbritannien. Obwohl es noch kaum wissenschaftliche Untersuchungen in bezug auf ernährungsphysiologische Vorteile von "biologisch" erzeugten Nahrungsmitteln gegenüber ihren konventionellen Konkurrenzprodukten gibt, werden sie im allgemeinen als gesünder eingestuft.
Untersuchungen haben ergeben, daß ein Großteil der Bevölkerung zwar schon von "biologischen" Nahrungsmitteln gehört hat, aber nur ein sehr geringer Anteil genau definieren kann, was man darunter versteht. Dieser Umstand ist vor allem darauf zurückzuführen, daß es bisher noch keine allgemein gültige Definition des Begriffes "biologisch erzeugt" sowie keine staatlich anerkannten Produktionsrichtlinien gibt.
Die Hauptaktivität der ''biologischen" Bewegung in Großbritannien geht von einigen meist produktionsorientierten Organisationen aus, die unterschiedliche Produktionsrichtlinien erarbeitet haben und ihre Produkte unter verschiedenen Warenzeichen vermarkten. Diese uneinheitliche Vermarktung führt bei den Konsumenten zu weiterer Verwirrung. Zur Zeit ist eine staatliche Kommission damit beschäftigt, Mindestrichtlinien für die Produktion zu erarbeiten und ein einheitliches Warenzeichen einzuführen, um die Vermarktung zu verbessern und den Konsumenten vor irreführenden Angaben zu schützen.
Durch die noch unzureichende Marktentwicklung läßt sich auch kein typischer Konsument für ''biologische" Nahrungsmittel beschreiben. Konsumenten sind in allen Altersund sozial-ökonomischen Schichten anzutreffen. Als grobe Konsumentensegmentierung lassen sich drei Gruppen charakterisieren:
- Die überzeugten Biokunden,
- die gesundheitsbewußten Kunden und solche,
- die aus Neugier und Kuriosität kaufen.
Bisher war der Absatz hauptsächlich durch die Konsumentennachfrage bestimmt, wodurch der Markt für "biologische" Erzeugnisse eher produktionsorientiert als marketingorientiert war.
Dies hat dazu geführt, daß es bisher nur selten zum Einsatz von effizienten Marketing-Strategien kam.
Dies ist auch dadurch begründet, daß der Markt auf allen Stufen bis vor kurzem noch recht zersplittert war, bzw. es immer noch ist. Die ca. 1 000 Landwirte und Gärtner, die einer "biologischen" Wirtschaftsweise nachgehen und ca. 0.1 - 0.15 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche bewirtschaften sind über ganz Großbritannien verteilt, mit einer größeren Konzentration in Südengland. Es sind meist kleine Betriebe mit durchschnittlich 5 - 10 ha. Zu Beginn der 80er Jahre haben sich einige Produktionsverbände gebildet, die "biologische" Landwirte beraten und ihnen bei der Umstellung behilflich sind. Erst Mitte der 80er Jahre kam es zu der Gründung von Erzeugergemeinschaften, die die Produktion und die Vermarktung koordinieren sollen, um bessere Absatzwege zu erschließen.
Insgesamt gibt es weit über 100 verschiedene "biologische" Produkte. Das Spektrum reicht von unverarbeitetem Obst und Gemüse bis hin zu weit verarbeiteten "Convenience Produkten". Der Obst und Gemüsesektor sowie der Getreidesektor sind am weitesten entwickelt, und diese Produkte erreichen auch die größte physische Distribution. Während Obst und Gemüse zum größten Teil frisch verkauft werden, kommen Getreideprodukte fast ausschließlich verarbeitet auf den Markt. Die wichtigsten Artikel sind dabei Mehl und Brot; aber auch höhere Verarbeitungsstufen wie Nudeln, Fertiggerichte und Babynahrung sind anzutreffen. Der Markt für "biologisch" erzeugte Milchprodukte und Fleisch hat noch nicht den gleichen Stellenwert erreicht, obwohl Fortschritte auch hier gerade 1988 sehr deutlich zu erkennen waren.
Die Absatzwege sind sehr stark von den Anforderungen der jeweiligen Warengruppen abhängig. So ist zum Beispiel der Geschwindigkeitsfaktor der Distribution bei verderblichen Waren dominierend, wogegen bei haltbaren Produkten die tatsächlichen Distributionskosten ausschlaggebend sind.
Nach wie vor wird ein Großsteil der "biologischen" Produkte unverarbeitet und im Direktabsatz vermarktet. In zunehmendem Maße werden sie aber auch durch den normalen Lebensmittelhandel verkauft und gleichzeitig nimmt der Anteil an verarbeiteten Produkten zu.
Obwohl nahezu 95 % der verarbeiteten Produkte importiert werden, haben sich einige Lebensmittelproduzenten auf dem "biologischen'' Markt etabliert. Technisch weniger aufwendige Verarbeitungsgänge, wie Mahlen und Pressen werden dabei meist vom Ernährungshandwerk, das oft auf Bauernhöfen lokalisiert ist, durchgeführt. Kompliziertere Verarbeitungsprozesse erfolgen dagegen in der Ernährungsindustrie, meistens in Firmen, die sich bisher schon mit der Produktion von Reformkost und vegetarischen Waren beschäftigten. Große Lebensmittelkonzerne haben bis heute noch nicht in diesen Markt eingegriffen, aber es wird damit gerechnet, daß sie eventuell über Akquisitionen in den wachsenden Markt einsteigen.
Neben den anderen traditionellen Absatzwegen über Reformhäuser und Bioläden gewinnt der Absatz in Supermärkten eine zunehmende Bedeutung. Das Auftreten von großen Supermarktketten hat einen immensen Einfluß auf die Entwicklung des Marktes für "biologische'' Produkte und den Einsatz von modernen Marketing-Methoden. Die traditionellen kleineren Läden beziehen die Waren entweder direkt oder im überwiegenden Teil über Zustellgroßhändler für Reformwaren. Demgegenüber versuchen Supermärkte diese Handelsstufe zu überspringen, um direkt beim Produzenten zu kaufen. Seit Beginn der 80er Jahre haben alle großen Supermarktketten Verkaufstests mit "biologischen" Produkten durchgeführt, und die meisten haben eine selektierte Produktpallette in ihr Warensortiment aufgenommen. Es wird angenommen, daß bis zum Beginn der 90er Jahre ca. 80 % des "biologisch" erzeugten Obst und Gemüses über Supermärkte abgesetzt wird.
Der Einfluß der Supermärkte hat dem Absatz für "biologische" Nahrungsmittel einen starken Auftrieb gegeben. Aber den hohen Ansprüchen dieses Absatzmarktes ist die inländische Produktion im Bezug auf Quantität und Qualität oft nicht gewachsen, was zu einer Importrate von ca. 70 % geführt hat. Um dieser Nachfragekonzentration auf der Ebene des Lebensmittelhandels entgegenzuwirken, haben sich einige Erzeugergemeinschaften für "biologische'' Erzeugnisse gebildet.
Der verstärkte Verkauf "biologischer" Produkte durch Supermärkte hat auch auf den Einsatz der Marketing-Mix Elemente eine sehr starke Auswirkung. Lagen bisher die Preise, die für diese Produkte erzielt wurden, im Durchschnitt um 30 - 40 %, im Einzelfall bis zu 200 % über dem Preis für konventionelle Produkte, so hat die Niedrigpreispolitik der Supermarktketten zu einem Absinken des Preisniveaus geführt. Einerseits werden dadurch neue Käuferschichten angesprochen, andererseits wird den Landwirten der nötige Preisanreiz "biologisch" zu wirtschaften, genommen.
Gleichzeitig ist man sich darüber einig, daß allein die finanzstarken Ketten dazu in der Lage sind, groß angelegte Werbekampagnen für "biologische" Produkte durchzuführen. Die bisherige Kommunikationspolitik hat sich hauptsächlich auf diverse "Push-Maßnahmen" beschränkt.
Die Verpackung "biologischer" Erzeugnisse variiert sehr stark von einfacher unbeschrifteter Papierverpackung bis hin zu produktionsaufwendigen modern gestylten und bedruckten Plastikverpackungen. Auf der einen Seite steht dabei die Auffassung, daß das Verpackungsmaterial der Produktionsphilosophie entsprechend möglichst umweltschonend sein sollte, demgegenüber steht der Wunsch der Lebensmittelhändler und Konsumenten nach bequemer Handhabung.
Im Bezug auf die Markenbildung ist zu erkennen, daß ähnlich wie in anderen Bereichen des Lebensmittelhandels, mit zunehmender Bedeutung der "biologischen" Artikel Handelsmarken eingeführt werden und sich neben den Herstellermarken etablieren.
Insgesamt kann damit gerechnet werden, daß die Nachfrage nach "biologischen" Nahrungsmitteln weiter steigen wird. Vor allem für verarbeitete Produkte wird ein großes Wachstumspotential vorausgesagt, um die Nachfrage nach gesundem "Convenience-Food" zu decken. Aussagen von Marktexperten, die einen Marktanteil von 5 - 10 % für "biologische" Nahrungsmittel am Lebensmittelmarkt vorhersagen, scheinen insbesondere beim Einsatz moderner Marketing-Strategien durchaus im Bereich des Möglichen zu liegen.
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