Durch automatische Melksysteme (AMS) zeichnen sich völlig neue Lösungsansätze in der Milchviehhaltung ab. Durch die Befreiung von der manuellen Melkarbeit wird zum einen der Mensch entlastet, zum anderen ermöglicht dies den Einsatz kostengünstiger Haltungssysteme, welche nicht mehr den Bedürfnissen des Menschen angepaßt sein müssen. Vor allem ergeben sich aber auch neue Möglichkeiten, stärker als bisher auf die Bedürfnisse des Tieres einzugehen. Wie dies optimal geschehen kann, ist derzeit noch schwierig abzuschätzen, da zum Tier- und Melkverhalten von Milchkühen, die in automatischen Melksystemen unter Praxisbedingungen gemolken werden, bisher nur wenig Datenmaterial existiert.
Um hier detailliertere Aussagen treffen zu können, wurde das Tier- und Melkverhalten bei Verwendung einer Einboxen-Kompaktanlage (Typ "Astronaut" der Firma Lely) auf einem Praxisbetrieb untersucht: Die Untersuchung umfaßte 10 Monate, darin war auch die Umstellungsphase auf das AMS enthalten. Folgende Parameter der zum AMS gehörenden Herdenmanagementsoftware wurden ausgewertet: • Zeitpunkt, Milchmenge sowie mittlerer u. maximaler Milchfluß jeden Gemelks, • Leitfähigkeitswerte der Milch jeden Euterviertels, • Prozentualer Anteil verschiedener Aktivitäten des AMS.
Darüber hinaus wurden anhand von zeitlich begrenzten Videoaufzeichnungen weitere Daten zur Beschreibung des Tierverhaltens erhoben. Diese dienten gleichzeitig zur Überprüfung der automatisiert erfaßten Daten: • Verteilung der Tiere in verschiedenen Bereichen des Stalls, • Dauer verschiedener Vorgänge in der Melkbox.
Ergänzt wurden diese Daten durch Befragungen des Betriebsleiters. Insgesamt wurden an 293 Tagen 34.117 Melkungen erfaßt. Im Durchschnitt umfaßte die Herde 52 laktierende Kühe, diese Zahl sank aber im Laufe des Beobachtungszeitraumes von ca. 65 auf ca. 45 Tiere ab. Im Versuchszeitraum wurden z.T. starke Schwankungen in der Anzahl der Melkungen pro Tag beobachtet. Es zeigte sich, daß das Engagement des Betriebsleiters sowie Veränderungen in der Herdenzusammensetzung und hier insbesondere die Eingliederung frischlaktierender Tiere großen Einfluß darauf hatten.
Die durchschnittliche Tagesleistung pro Kuh betrug 16,5 kg bei einer Standardabweichung von 8,5 kg. Bei den Gemelksmengen lag der Mittelwert bei 7,4 kg, die Standardabweichung bei 3,6 kg. Melkungen, die eine Milchmenge von 0 kg ergaben, traten dabei in 4,6 % aller Fälle auf. Blieben diese unberücksichtigt, so erhöhte sich der Mittelwert auf 7,8 kg. Die mittlere Zwischenmelkzeit lag bei 10,7 h, was einer Melkfrequenz von ca. 2,2 Melkungen pro Kuh und Tag entspricht. Werte über 15 h traten häufiger auf als in anderen Untersuchungen. Die Analyse der geringen Gemelksmengen und Tagesleistungen ergab, daß wenige Tiere für den Großteil der Gemelksmengen unter 3 kg und der Tagesleistungen unter 5 kg verantwortlich waren. Alle Tiere, bei denen dies besonders häufig auftrat, wurden vom Betriebsleiter aus verschiedenen Gründen als "Problemkühe" bezeichnet.
Bei der Untersuchung der Leitfähigkeitswerte ergab sich ein Mittelwert von 66,6 x 1/10 mS/cm. Bei 75 % aller Tiere lag der Mittelwert der Leitfähigkeit zwischen 60 und 70 x 1/10 mS/cm, unabhängig von der durchschnittlichen Milchleistung des betreffenden Tieres. Auf schwankende Gemelksmengen reagierten die Leitfähigkeitswerte dagegen mit starken Schwankungen, wodurch die Überwachung der Eutergesundheit erschwert wurde. Bei einigen Eutererkrankungen war kein Anstieg der Leitfähigkeit festzustellen, vereinzelt erfolgte der Hinweis des Herdenmanagementprogramms zu spät oder gar nicht.
Bei den Melkungen mit einer Milchmenge zwischen 4 und 11 kg, lagen die Werte für den mittleren Milchfluß zwischen durchschnittlich 1,7 und 2,1 kg/min. Die Werte für den maximalen Milchfluß lagen bei diesen Melkungen im Durchschnitt zwischen 2,5 und 3,4 kg/min. Aufgrund der unklaren Berechnungsweise im Herdenmanagementprogramm sollten diese Werte allerdings nur als Anhaltspunkt herangezogen werden.
Die Tagesleistungen entwickelten sich im Durchschnitt der Herde weitgehend analog zu der bei HUTH beschriebenen Laktationskurve für eine Kuh in der 2. Laktation bei einer 305-Tage Leistung von 5300 kg. Die Anzahl der Melkungen pro Kuh und Tag betrug 1 ,4 in der 1. Woche, in der 2. Woche 2,4 und stieg bis zur 7. Woche auf 2,9 an. Bis zum Ende der Laktation sank der Wert wieder auf 1,8 ab.
Bei der Verteilung der Melkungen im Tagesverlauf war das bereits aus anderen Untersuchungen bekannte Bild erkennbar, mit einer Ruhephase in den frühen Morgenstunden und zwei Hauptmelkzeiten am Morgen und am Abend. Die Ruhephase zwischen 3:00 und 6:30 war deutlich ausgeprägt, zwischen 7:00 und 24:00 (mit Ausnahme der Zeit für die Tankreinigung) fanden aber aufgrund der hohen Tierzahl im Durchschnitt immer mehr als 5 Melkungen/h statt. Starke Unterschiede wurden zwischen den Melkrhythmen der einzelnen Tiere festgestellt. Einige Tiere orientierten sich hauptsächlich an der Tageszeit, andere dagegen mehr am Euterinnendruck oder an der Zwischenmelkzeit
Es wurde ein deutlicher Einfluß des Freßverhaltens auf das Melkverhalten gefunden. Das Freßverhalten war wiederum von den Fütterungszeiten stark beeinflußt. Es konnten 4 Freßzeiten festgestellt werden (8:00, 13:30, 18:00 und 24:00), ähnlich den Ergebnissen anderer Untersuchungen. Insgesamt war ein deutliches Herdenverhalten zu erkennen: Zum Ende der Ruhephase befanden sich 90 % der Tiere in den Liegeboxen, zur Fütterungszeit am Abend waren 70 % der Herde beim Fressen. Während der Hauptfreßzeiten am Morgen und am Abend warteten bis zu 15 % der Herde vor der Melkbox. Von diesem Verhalten konnten einzelne, meist rangniedere, Tiere aber stark abweichen.
Die an einem Tag per Videoaufzeichnung ermittelte Auslastung der Melkbox ergab folgende Werte: Bei 49 laktierenden Kühen und 103 Melkungen entfielen 56 % der Zeit auf Besuche mit Melken, 12,7 % auf die Reinigung und 4,4 % auf Besuche ohne Melken. Die freie Kapazität betrug 25,2 % und lag damit deutlich unter dem vom Herdenmanagementprogramm errechneten Wert von 44,6 %. Bei der ermittelten Auslastung von ca. 75 % war das System zwischen 5:00 und 23:00 bereits zu 86 % ausgelastet, während 3 Stunden des Tages lag die Auslastung bei 100 %. Hierbei stellt sich die Frage, bis zu welcher Auslastung das System den Vorteil der besseren Anpassung an die Bedürfnisse des Tieres gewährleisten kann.
Die dargelegten Ergebnisse machen deutlich, daß bei Verwendung eines AMS Aspekte des Tier- und Melkverhaltens Beachtung finden müssen, die bei herkömmlichen Systemen oft nur von untergeordneter Bedeutung sind. Hier gilt es zur Optimierung des Gesamtsystems weitere Zusammenhänge aufzudecken.
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